Von 1810 bis 2024 – das Recht auf Abtreibung in Frankreich

Am 4. März 2024 erhielt das Recht auf Abtreibung in Frankreich Verfassungsrang. Das war durchaus – auch wenn der Begriff oft leichtfertig genutzt wird – historisch. Wenn auch nicht das erste Land weltweit, so ist es doch eindeutig eine Ausnahme, vielmehr lässt sich sonst ausmachen, dass dieses Recht auf Selbstbestimmung eher eingeschränkt denn gestärkt wird.

Im Code Pénal wird der Schwangerschaftsabbruch 1810 unter Strafe gestellt.

Der Schwangerschaftsabbruch kann in Frankreich bis zur 14. Woche ohne Beratungsgespräch erfolgen, die Kosten übernimmt die Krankenkasse. Gesetzlich erlaubt ist der Schwangerschaftsabbruch in Frankreich seit 1975, geregelt durch das nach Simone Veil benannte „Loi Veil“. Damit wurde ein seit 1810 geltendes Verbot aufgehoben. Artikel 317 des „Code Pénal“ von Napoleon 1810 stellt Abtreibung für alle Beteiligten unter Strafe. Das französische „Strafgesetzbuch“ gehörte zu den „cinq Codes“, die Napoleon in seinem Herrschaftsgebiet erließ. Im 19. Jahrhundert ist das Verbot von Abtreibung auch Teil des Nationalismus – die französische Nation solle wachsen. So wird 1896 die „Alliance nationale pour l’accroissement de la population française“ gegründet. Es ist die die einzige, aber erfolgreichste Vereinigung, die sich für eine steigende Geburtenrate in Frankreich einsetzt. Die „Alliance nationale“ setzt dabei vor allem auf Angst, denn für sie ist eine höhere Geburtenrate vor allem wichtig, um militärisch gegen Deutschland bestehen zu können, das eine Bedrohung darstelle. Abtreibung wurde damit als ein Verbrechen gegen die Nation angesehen.

1920 wurde die Regelung zum Schwangerschaftsabbruch noch einmal verschärft. Auch „Anstiftung zur Abtreibung“ wurde nun bestraft und damit zusammenhängend auch die Beratung zum Thema Schwangerschaftsabbruch. 1923 wurde zudem geregelt, dass Abtreibung strafrechtlich so geregelt wird, dass Berufsrichter Angeklagte verurteilen konnten. Das war eine Neuerung und man erhoffte sich so eine strengere Strafverfolgung.

Todesstrafe für die Hilfe bei einem Abbruch

Das Vichy-Regimes (1940-1944) verhängte noch striktere Regeln: Eine Abtreibung vornehmen konnte mit dem Tod bestraft werden. Es galt als „crime contre la sûreté de l’État“ (Verbrechen gegen die Sicherheit des Staates). Diese wurde auch vollstreckt. 1943 wird Marie-Louise Giraud hingerichtet. Sie hatte über 20 Frauen bei einer Abtreibung geholfen, eine Frau starb. Ein Gnadengesuch an Machthaber Philippe Pétain wurde abgelehnt. Auch Désiré Pioge wurde 1943 hingerichtet, nachdem er mehreren Frauen geholfen hatte.

Nach dem Ende des Krieges kehrte man zurück zur Regelung von 1920, damit war Abtreibung immer noch strafbar, ebenso wie die Unterstützung.

Manifest des 343

Im April 1971 veröffentlicht Le Nouvel Observateur dann das „Manifest des 343“, darin erklären 343 Frauen öffentlich, dass sie abgetrieben haben, obwohl es zu der Zeit noch unter Strafe steht (im Stern wird im Juni 1971 etwas Ähnliches veröffentlicht.) Simone de Beauvoir verfasste das Manifest. Damit erhält das Thema eine größere öffentliche Aufmerksamkeit und ist präsenter.

Ein weiterer wichtiger Schritt ist der „Bobigny-Prozess“ 1972, benannt nach dem Ort des Prozesses. Die 16jährige Marie-Claire wird wegen Abtreibung nach einer Vergewaltigung angeklagt. Daraus wird ein politischer Prozess, der die problematische Gesetzgebung anprangert. Er wird von massiven Protesten begleitet. Marie-Claire wird freigesprochen. Ihre Mutter war eigentlich wegen Mittäterschaft verurteilt wurden, ihre Berufungsfrist ließ man aber verstreichen. Daher wird auch sie nicht verurteilt.

Diese beiden wichtigen Meilensteine helfen Simone Veil, Gesundheitsministerin seit 1974, bei ihrem Vorhaben, das Recht auf Abtreibung zu entkriminalisieren. Es gelingt gegen viele Widerstände, ein Gesetz zu verabschieden, das einen Schwangerschaftsabbruch bis zur 10. Woche erlaubt. Zunächst soll das Gesetz fünf Jahre gelten. Es wird aber verlängert und auch die Frist auf 12 und schließlich auf 14 Wochen verlängert.

Weitere wichtige Entwicklungen betreffen auch das Thema „Gehsteigbelästigung“. Denn oft versammeln sich Gegner*innen vor Einrichtungen, die Abtreibungen vornehmen und bedrängen die Betroffenen. Daher wird 1993 die „Behinderung des Zugangs zu Abtreibung“ in Frankreich unter Strafe gestellt. Das gilt seit 2017 auch für Websites. 2012 wird festgelegt, dass die Krankenkassen die Kosten übernehmen, zwei Jahre später wird „détresse“ (Not) aus dem Gesetzestext gestrichen. Diese muss nicht mehr vorliegen, um einen Abbruch vornehmen zu lassen.

Am 4. März 2024 stimmt der Kongress in Frankreich für die Aufnahme des Rechts auf Abtreibung in die französische Verfassung.

Literatur:

  • Naour, Jean-Yves, Valenti, Catherina: Histoire de l’avortement. XIXe-XXe siècle, Paris 2003.
  • Veil, Simone: Les hommes aussi s’en souviennent. Une loi pour l’histoire, Paris 2017.
  • Veil, Simone: Une vie, Paris 2012.

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